Lager
Die Arbeit von Markus Dorfmüller thematisiert die Beziehung zwischen Fotografie und den ihr inhärenten Handlungsfeldern, Aspekte von Sichtbarkeit sowie jene Räume und Gegen-Räume, die mit Hilfe dieses Mediums auf einer analogen, abbildhaften Ebene entstehen.
Aus einer architekturfotografischen Praxis resultiert Dorfmüllers Ansatz in seiner Arbeit Lager, die Aspekte der Landschaftsfotografie aufgreift und in den Kontext des Urbanen zurückführt.
Über die Bundesrepublik Deutschland verteilt gibt es ein Netzwerk von Zwangsunterkünften für Flüchtlinge. Diese Orte zeichnen sich dadurch aus, daß sie von ihren „BewohnerInnen” nur kurzfristig verlassen werden dürfen und eingezäunt sind. Sie dienen staatlichen Behörden im Rahmen der Flüchtlingspolitik als Zwangsunterkunft für die Inhaftierung bis zur Abschiebung, den Aufenthalt während des Asylverfahrens oder die Erstaufnahme nach der Reise in die Bundesrepublik.
Seit 2004 besucht Markus Dorfmüller diese Lager und fotografiert sie in ihrem topografischen Kontext. Die Fotografie dient hier als Instrument zur Kodifizierung und Typologisierung der Orte, an denen sich diese Zwangseinrichtungen befinden. Die Arbeit von Markus Dorfmüller hinterfragt die spezifischen Bedingungen der urbanen Zonen, die den Lagern als Raum und gleichzeitig als Ort des Verstecks dienen. Welche Auffälligkeitsmerkmale ergeben sich durch die fotografische Gegenüberstellung jener Institutionen, die sich durch Ihre Positionierung neben einem Feuchtbiotop, in Nachbarschaft zu einem Kleingartenverein, an der Bundesstraße oder hinter einem Supermarkt dem öffentlichen Blick verwehren?
Auf den Abbildungen ist nicht nur das Lager sondern seine gesamte Umgebung zu sehen. Dadurch zeigt sich, in welchem alltäglichen Rahmen der Vorgang der Abschiebung und Verwahrung vollzogen wird. Der Fokus liegt somit nicht auf der Abbildung der Lager selbst, sondern auf ihrer Umgebung. Es entstehen Bilder, in denen die Zwangsunterkünfte nur einen kleinen Teil des Bildes ausmachen. Erst durch die schriftliche Kontextualisierung wird die gesellschaftliche Bestimmung des Ortes konkret und das Bild mit einem „Mehr” an Information aufgeladen als mit der Tatsache, dass es sich um die bloße Abbildung eines städtischen Ortes handelt. Die vordergründig erscheinende Unbefangenheit des Bildraums verbirgt das politische Instrumentarium eines Staates, das in diesem Fall bewusst auf die Nicht-Repräsentation des Visuellen setzt.
Markus Dorfmüller untersucht das fotografische Dispositiv als raum- und identitätsstiftendes Element hinsichtlich der Direktheit der Abbildungsmöglichkeiten und ihrer divergierender Bezugssysteme.
Aus: Den Blick schärfen, Zu den Arbeiten von Markus Dorfmüller
von Petra Gerschner und Walter Seidl
erschienen in Fantomas Nr. 7, 2005